Ein prioritärer Schwerpunkt im Aktionsprogramm "Wald schützt uns!" ist die Erhaltung, Verbesserung und Wiederherstellung von Schutzwäldern in Österreich. Einschätzungen der Expertinnen und Experten zufolge, droht in den nächsten Jahren ein absoluter Engpass in der nachhaltigen und ausreichenden Sicherstellung bzw. Beschaffung von Saat- und Pflanzgut für den Schutzwald. Wie im Sachstandsbericht „Schutzwald in Österreich – Wissenstand und Forschungsbedarf“ detailliert festgehalten, ist durch eine vielfach unzureichende Bewirtschaftung und durch die Fortschreitung des Klimawandels akuter Handlungsbedarf in der Verjüngung, Pflege und Umbau der Schutzwaldbestände gegeben. Häufig unterschätzt wird in der Praxis die Wahl des richtigen Herkunftsmaterials (Genetik).
Entwicklungsprojekt
Aus diesem Grund hat das BML ein Entwicklungsprojekt in Auftrag gegeben, um den Bedarf und möglichen
Angebots an Saat- und Pflanzgut für den Schutzwald zu evaluieren. Das Projekt wurde vom Bundesforschungszentrum für Wald wissenschaftlich und fachlich forciert. Der barrierefreie Endbericht liegt vor und umfasst im Wesentlichen drei Arbeitsschwerpunkte.
AP1: Evaluierung des Verjüngungszustandes im Schutzwald
Mit dem gegenständlichen Arbeitspaket wurden Daten der Österreichischen Waldinventur mit der „Hinweiskarte Schutzwald in Österreich“ verschnitten, um die verjüngungsnotwendigen Flächen im Schutzwald zu identifizieren und deren genaue Lage (Seehöhenstufen, etc.) und Zustand zu charakterisieren.
AP2: Evaluierung geeigneter Saatgutquellen und Pflanzenproduktion
Im Arbeitspaket 2 wurde das potentiell verfügbare Angebot an Saat- und Pflanzgut im Schutzwald evaluiert. Die Anzahl der Erntebestände und Samenplantagen wurde pro Baumart ausgewertet und die Aufteilung nach Wuchsgebieten und Seehöhen dargestellt. Die Beerntungen nach Wuchsgebieten und Höhenstufen und pro Baumart wurde ermittelt. Details und die statistischen Darstellungen sind aus dem vorliegenden Endbericht zu entnehmen.
AP3: Vergleich von Bedarf und Angebot an Saat- und Pflanzgut für den Schutzwald
Im Arbeitspaket 3 wurde eine abschließende Bewertung durchgeführt. Für den identifizierten Verjüngungsbedarf in Schutzwäldern der unterschiedlichen Kategorien wurde der Bedarf an Saat- und Pflanzgut ermittelt und mit dem potentiellen Angebot auf Ebene der betreffenden Wuchsgebiete/Höhenstufen verglichen. Dieser Vergleich zwischen Bedarf und potentiellem Bedarf soll einerseits den kontinuierlichen Bedarf umfassen, gleichzeitig aber auch eine, wenn auch nur sehr grobe Schätzung für einen möglicherweise höheren Bedarf nach Störungsereignissen (Sturm, Borkenkäfer, Schneebruch) berücksichtigen. Mit dem Ergebnis sollen in Zukunft entsprechende Handlungsanweisungen für die Praxis abgeleitet werden (z.B. für die Ausweisung weiterer Saatguterntebestände oder die Anlage von Samenplantagen).
Kernbotschaften des Endberichtes
- Etwa 42% der Wälder in Österreich weisen eine Schutzfunktion auf. Eine direkte Objektschutzfunktion zum Schutz von Siedlungen und Infrastruktur besteht auf 16% der Waldfläche.
- Der Verjüngungszustand in vielen Schutzwäldern ist kritisch: in Wäldern mit direkter Objektschutzfunktion besteht auf rund 140.000 Hektar Fläche eine Verjüngungsnotwendigkeit und gleichzeitig weisen diese keine Verjüngung auf. Für Wälder mit indirekter Objekt- bzw. Standortschutzfunktion beträgt diese Fläche sogar 280.000 Hektar.
- Hohe Flächenanteile mit Verjüngungsnotwendigkeit und fehlender Verjüngung weisen die inneralpinen Wuchsgebieten 1.1. und 1.2, die südlichen Zwischenalpen (WG 3.3.) und das südlichen Randgebirge (WG 6.1) auf. Mit zunehmender Seehöhe steigt der Anteil der Schutzwaldflächen mit fehlender Verjüngung: in Seehöhen von 1600-1800 m umfassen die Flächen mit notwendiger, aber fehlender Verjüngung 35% der Schutzwaldflächen. Verjüngungshemmende Faktoren sind u.a. starke Hangneigungen, Lichtmangel und starke Konkurrenzvegetation.
- Der Pflanzenbedarf zur Aufforstung von Beständen mit Verjüngungsnotwendigkeit in Wäldern mit direkter Objektschutzfunktion beträgt bei alleiniger Kunstverjüngung 210-350 Millionen Forstpflanzen und entspricht ungefähr dem 10fachen der derzeitigen jährlichen Pflanzenproduktion Österreichs. Daher kann der Verjüngungsbedarf nicht ausschließlich mit Aufforstungen gedeckt werden, sondern sollte durch eine Kombination aus gezielten Aufforstungen und einer besseren Förderung der Naturverjüngung erreicht werden.
- Die Verfügbarkeit von geeigneten Forstpflanzen für den Schutzwald wird einerseits von der Anzahl an Erntebeständen und Saatgutplantagen bestimmt, die vom Bundesamt für Wald zugelassen sind, und andererseits von der Durchführung von Beerntungen durch Forstbaumschulen und Forstbetriebe.
- Für die wichtigsten Hauptbaumarten ist bereits heute eine hohe Anzahl an Saatguterntebeständen und Samenplantagen für die schutzwaldrelevanten Bereiche der verschiedenen Wuchsgebiete und Höhenstufen zugelassen.
- Die Erntehäufigkeit der verschiedenen Regionen unterscheidet sich jedoch stark: insbesondere Regionen mit hohem Schutzwaldanteil im inneralpinen Bereich weisen nur einen geringen Anteil an beernteten Saatguterntebeständen auf. Daraus resultiert eine vergleichsweise geringe produzierbare Menge an Forstpflanzen für den Schutzwald. Ein besseres Monitoring der Samenproduktion und häufigere Beerntungen in diesen Regionen sind daher dringend notwendig.
- Klimafitte Laub- und Nadelbaumarten, deren Saatgut vergleichsweise hohe Samengewichte aufweist und nur wenige Jahre lagerbar ist, ist auch für Aufforstungen im Schutzwald zunehmend gefragt. In den inneralpinen und zwischenalpinen Wuchsgebieten ist die Anzahl an Zulassungen der Laubbaumarten vergleichsweise gering. Für diese Baumarten sollte daher die Anzahl an Zulassungen erhöht werden sofern die Größe und Qualität bestehender Bestände das zulässt. Gegebenenfalls sollten neue Plantagen geschaffen werden, um den wachsenden Bedarf langfristig abzusichern.
- Beerntungen von klimafitten Laubbaumarten finden derzeit eher in tiefen und mittleren Lagen statt. Daher ist zu prüfen, inwieweit bereits heute Saatgut aus niedrigeren Seehöhen auch in höheren Seehöhen im Rahmen von „assisted migration“ eingesetzt werden kann und wie Hindernisse für die Beerntung von zugelassenen Beständen in höheren Lagen beseitigt werden können.
- Die WLV Gebietsbauleitungen setzen Schutzwaldaufforstungen derzeit überwiegend als Begleitmaßnahme von technischen Verbauungen, zur Einführung neuer Baumarten und Förderung von Mischbeständen und zur Wiederaufforstung nach Schadereignissen ein. In Zukunft wird mit einem höheren Pflanzenbedarf als Folge größerer Kalamitäten und einer stärkeren Nachfrage nach Baumarten, die eine bessere Eignung gegenüber den erwarteten Klimaänderungen aufweisen gerechnet. Eine vollständige Analyse des Pflanzenbedarfs im Schutzwald muss ein breiteres Spektrum an Bewirtschaftern und alle mit Schutzwaldbewirtschaftung betrauten Behörden umfassen.